BGH – Entscheidungskonflikt bei hypothetischer Einwilligung
Beruft sich der behandelnde Arzt im Falle einer fehlerhaften Eingriffsaufklärung darauf, der Patient hätte auch im Falle einer zutreffenden Aufklärung in die betreffende Maßnahme eingewilligt („hypothetische Einwilligung“), so trifft ihn die Beweislast für diese Behauptung dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. An die Substantiierung dieses Entscheidungskonfliktes dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Vom Patienten ist nicht zu verlangen, dass er – darüber hinaus gehend – plausibel macht, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden.
Der VI. Zivilsenat des BGH versucht mit der Entscheidung vom 07.12.2021 (Az. VI ZR 277/19), die Anforderungen an Beweis und Substantiierung bei hypothetischer Einwilligung zu präzisieren und knüpft u.a. an das Urteil vom 18.05.2021 – VI ZR 401/19 an. Zwar könne sich der Behandelnde, wenn die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, darauf berufen, der Patient hätte auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt (hypothetische Einwilligung). Damit auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten nicht unterlaufen wird, seien jedoch an den dahingehenden Nachweis strenge Anforderungen zu stellen. Wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, so trifft den Arzt, der sich auf die hypothetische Einwilligung beruft die Beweislast. An die Substantiierungspflicht des Patienten dürften keine zu hohen Anforderungen gestellt werden; vom Patienten sei nicht zu verlangen, dass er – darüber hinausgehend – plausibel macht, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden. In dem zu entscheidenden Fall ging es bei der Implantation einer Kniegelenkprothese um eine zusätzliche Anästhesie mittels zweimaliger Beinplexusanästhesie (Doppelkatheter) anstelle einer echten Alternative mittels nur eines Femoraliskatheters mit zusätzlicher Schmerzmedikation; bei der Klägerin war nach Anlage des Doppelkatheters ein Nervenschaden aufgetreten. Bei alleinigem Femoraliskatheter wäre die Schmerzausschaltung zwar ggf. geringer, das Risiko eines Nervenschadens jedoch auch nur halb so groß. Die Klägerin hatte im Rahmen ihrer Anhörung zunächst erklärt, dass sie sich nicht sicher sei, wie sie sich damals bei entsprechender Aufklärung entschieden hätte. Erst aus der heutigen Sicht – nach Eintritt des Schadens – sei sie der Auffassung gewesen, dass sie es wohl eher nicht in der durchgeführten Form hätte machen lassen, weil ihr nicht bewusst gewesen sei, dass man einen solchen Schaden davontragen könne.
Die Frage an die Klägerin, wie sie sich entschieden hätte, hätte man ihr erklärt, dass ein Doppelkatheter die sicherste Möglichkeit der Schmerzausschaltung mit Erzielung eines besseren operativen Erfolgs infolge frühzeitiger Mobilisierung ist, sei, so der Senat, keine brauchbare Grundlage für die Beurteilung eines plausiblen Entscheidungskonflikts. In den Blick zu nehmen sei vielmehr, dass es um die Frage nach einem Entscheidungskonflikt hinsichtlich der Aufklärung über die echten Behandlungsalternativen mit ihren Vorteilen (insbesondere hinsichtlich des geringeren Risikos für Nervenschäden) und der Nachteile (insbesondere mit geringerer Schmerzausschaltung und eingeschränkter Mobilität) gehe.
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