BGH: Abgrenzung Diagnoseirrtum zum Befunderhebungsfehler und Beweislastumkehr
Der BGH hat im Urteil vom 26.01.2016 seine bisherige Rechtsprechung zur Abgrenzung eines Diagnoseirrtums von einem Befunderhebungsfehler bestätigt. In dem Verfahren hatte der gynäkologische Sachverständige festgestellt, dass der Beklagte niedergelassene Gynäkologe sich bei den ihm bekannten Umständen (erhöhter Blutdruck, massives Nasenbluten und eine erhöhte Eiweißausscheidung im Urin der Mutter des Klägers) nicht mit der Diagnose „leichte Blutdruckerhöhung“ hätte zufrieden geben dürfen, sondern vielmehr weitere Befunde hätte erheben müssen. Der Sachverständige hatte zudem festgestellt, dass sich in dem zu fordernden Blutbild mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich über 50 % Hinweise auf ein HELLP-Syndrom ergeben hätten, so dass die Schwangerschaft umgehend hätte beendet werden müssen. Dementsprechend habe ein Befunderhebungsfehler vorgelegen, da die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen und nicht bereits erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert wurden und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereiches gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergriffen wurden. Im Kern sei es nicht um die Fehlinterpretation von Befunden gegangen, sondern um deren Nichterhebung. Ein Diagnoseirrtum setze voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Komme der Arzt allerdings aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären, hat dementsprechend die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat, so handelt es sich um einen Befunderhebungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr hinsichtlich dessen Kausalität für den eingetretenen Gesundheitsschaden. Erfolgreich hatte allerdings der Beklagte gerügt, dass das Berufungsgericht trotz eines entsprechenden Beweisantrages des Beklagten nicht die Kausalität des Behandlungsfehlers durch die Einholung eines neonatologischen Sachverständigengutachtens weiter aufgeklärt hatte. Diesbezüglich hatte der Sachverständige in seinem Gutachten geäußert, dass weitere Klarheit zur Kausalität möglicherweise durch Einholung eines solchen Gutachtens gewonnen werden könne. Als alternative Ursache der Hirnschädigung des Klägers stand nämlich eine Infektion im Blick, die der Kläger während seines stationären Aufenthaltes in der Kinderklinik erlitten hatte, welche antibiotisch behandelt werden musste und die ebenfalls zu den Gesundheitsschäden des Klägers hätte führen können. Zwar reiche es für die Beweislastumkehr wegen des festgestellten Befunderhebungsfehlers grundsätzlich aus, dass eine frühere Beendigung der Schwangerschaft generell geeignet gewesen wäre, den Gesundheitsschaden zu verhindern. Dem Beklagten könne allerdings vor diesem Hintergrund nicht die Möglichkeit genommen werden, den Beweis des Gegenteils zu führen, weswegen der Beweisantrag des Beklagten auf Einholung eines neonatologischen Sachverständigengutachtens zu der Behauptung, dass die Schädigung des Klägers postpartal durch eine Infektion in der Kinderklinik aufgetreten sei, nicht hätte übergangen werden dürfen. Diesbezüglich war ausreichend, dass der gerichtliche Sachverständige die Möglichkeit der alternativen Verursachung der Hirnschädigung selbst offen gelassen hatte und angeregt hatte, weitere Klarheit durch Einholung eines neonatologischen Sachverständigengutachtens zu gewinnen. Einer expliziten Behauptung des Beklagten bedurfte es nicht; der Beklagte hatte diesbezüglich lediglich gerügt, dass der Anregung des Sachverständigen auf weitere Klärung, wann der Hirnschaden genau entstanden sei, nicht nachgegangen wurde. Dies sei laut Senat allerdings ausreichend, weswegen das Berufungsgericht die Beweiserhebung in neuer Verhandlung nachzuholen habe.