Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler unter Schutzzweckgesichtspunkten
Die Klägerin erlitt einen schweren Geburtsschaden in Form von geistiger Retardierung und Beeinträchtigung der Hör- und Sehfähigkeit vor dem Hintergrund, dass sich ihre Mutter am Tag der Geburt nach einmaligen Dezelerationen im CTG und Wehen am Morgen des selben Tages sowie Wehen um 11:00 Uhr, um 13:10 Uhr im Kreißsaal vorstellte. Um 13:16 Uhr zeigte das angelegte CTG keine Herztöne. Die Entbindung erfolgte um 13:37 Uhr. Im Rahmen der Klage machte die Klägerin geltend, dass ihre Mutter nicht auf die Brisanz von Wehen hingewiesen worden war, und daher sich ihre Mutter um 11:00 Uhr nicht gemeldet habe. Das Landgericht bestätigte einen dahingehenden Behandlungsfehler und stellte die Pflicht zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden fest. Das Oberlandesgericht begrenzte die Ersatzpflicht auf Schäden auf solche, die im Rahmen der vorgeburtlichen Behandlung eingetretenen vorgeburtlichen Asphyxie entstanden sind bzw. entstanden werden. Der Senat sah einen groben Behandlungsfehler bezüglich der Verletzung der therapeutischen Aufklärungspflicht als gegeben an. Hiergegen richtete sich die (Anschluss-)revision der Klägerin. Der BGH führte hierzu in seinem Urteil vom 24.05.2022 (Az.: VI ZR 206/21) aus, dass die Zubilligung einer Beweislastumkehr bezüglich der Kausalität fraglich sei.
Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass die therapeutische Aufklärung im vorliegenden Fall nicht dazu dient, eine Untersuchung in Form eines CTG zur Kontrolle der Herztöne zu veranlassen. Allerdings hätte die Bradykardie der Klägerin nur mit einem CTG festgestellt werden können. Da die Anfertigung eines CTG nicht vom Schutzzweck der therapeutischen Aufklärung umfasst ist, kann sich die Klägerin auch nicht auf eine Beweislastumkehr bezüglich der Kausalität berufen. Die therapeutische Aufklärung dient der Abdeckung diverser Risiken, entsprechend ist zu prüfen, ob sich gerade ein Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt. Der Sachverständige wiederum hatte ausgeführt, dass die therapeutische Aufklärung im vorliegenden Fall eine plötzliche Frühgeburt eines Kindes auf der Station vermeiden soll. Dies diene dazu, eine adäquate Versorgung des Kindes sicherzustellen. Dieses Risiko hat sich nicht verwirklicht. Ob sich das Risiko der Nichtdurchführung eines CTG hier verwirklicht hat, wurde von Seiten des Berufungsgerichts nicht ordnungsgemäß überprüft. Eine Beweislastumkehr komme nur dann in Betracht, wenn sich auch dieses Risiko verwirklicht hätte und die Pflichtverletzung auch in diesem Punkt als grob anzusehen wäre. Die Ausführungen des Sachverständigen wiederum zeigen keinen Hinweis dafür, dass dieser Fehler ebenfalls als grob zu beurteilen sei. Weiter sei auch der Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen, der die Schadensersatzpflicht begrenzt. Hierbei ist ein äußerlicher, zufälliger Zusammenhang nicht ausreichend. Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Anfertigung des CTG nach den bisherigen Ausführungen des Sachverständigen zwar im Ursachenzusammenhang mit den Schutzzweckgesichtspunkten steht, nicht aber im Zurechnungszusammenhang. Diesbezüglich fehlt es an der vollständigen Wertung von Seiten des Berufungsgerichts. Der Rechtsstreit wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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