BSG: Nachforderung bis zum Ablauf der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung?
Das Bundessozialgericht hat das Urteil vom 19.04.2016 (Az. B 1 KR 33/15 R) unter dem Leitsatz der möglichen Nachforderung bis zum Ablauf der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung veröffentlicht. Der Leitsatz ist indes irreführend. Das BSG hat vielmehr ausgeführt, dass das klagende Krankenhaus im vorliegenden Fall nicht daran gehindert gewesen sei, den Restzahlungsanspruch nach Ablauf von sechs Wochen nach der Erstellung der Schlussrechnung gegenüber der beklagten Krankenkasse geltend zu machen. Die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Regelung des § 11 Abs. 2 KHBV, die eine Nachforderungsfrist für Krankenhäuser von sechs Monaten setzt, sei zwar unwirksam, da die hiermit korrespondierende Vorschrift für die Krankenkasse, dass Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung nur innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden können, gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoße; dies führe allerdings lediglich dazu, dass für die Nachforderung von Krankenhausvergütung die gesetzlich vorgesehenen Fristen maßgebend seien. Vergütungsansprüche der Krankenhäuser für die Behandlung Versicherter unterlägen der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung, was auch grundsätzlich für eine Nachforderung, die das Krankenhaus geltend machte, gelte. Nur in engen Grenzen sei die Geltendmachung einer Nachforderung von Krankenhausvergütung durch das Krankenhaus vor Ablauf der kurzen vierjährigen Verjährung ausgeschlossen. Hierzu verweist der Senat sodann auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht passe und nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung finden könne. Eine solche Ausnahmekonstellation könne aber vorliegen, wenn sich ein Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit lässt, um eine ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt erteilte „Schlussrechnung“ im Wege der Nachforderung mit Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammen. Mit anderen Worten: Bei zwar unbeabsichtigten Abrechnungsfehlern, die allerdings – auch nach Auffassung des Senates – im Rahmen der beim Krankenhaus bestehenden „Massenverwaltung“ durchaus auftreten können (so ausdrücklich der Senat), können Korrekturen durchaus durchgeführt werden. Diese müssen auch nicht im Rahmen der 6-Wochen-Frist nach Rechnungserteilung vorgenommen werden. Bei längerem Zeitablauf, insbesondere dann, wenn ein ganzes Rechnungsjahr Zeit verstreicht, bevor die Rechnung korrigiert wird, kann allerdings eine sog. Verwirkung des nachkorrigierten Anspruches eingetreten sein.
Über die Definition des „Rechnungsjahres“ lässt sich der Senat in diesem Urteil nicht aus. In dem hiernach ergangenem Urteil vom 05.07.2016 (Az. B 1 KR 40/15 R) lässt er allerdings entsprechend dem bislang lediglich vorliegenden Terminsbericht verlauten, dass Krankenhäuser grundsätzlich nach Erteilung einer Schlussrechnung ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt bis zum Ablauf des ganzen nachfolgenden Haushalts- und damit Kalenderjahres Zeit für Korrekturen haben. Insofern ist das ganze nachfolgende Kalenderjahr nun dasjenige Jahr, das bei der Rechnungskorrektur zwingend berücksichtigt werden muss, will nicht das Krankenhaus Gefahr laufen, hiernach mit seinem korrigierten Vergütungsanspruch verwirkt zu sein.
In dem Urteil des BSG vom 19.04.2016 hat der Senat, auch wenn er dem Grundsatz der „Waffengleichheit“ oder dem Ausschluss einer Rechnungskorrektur vor dem Hintergrund etwaiger Unzumutbarkeit nach Treu und Glauben eine Absage erteilt, dennoch als „möglichen Ausgleichmechanismus“ der Krankenkasse für den durch die Nachforderung ausgelösten Mehraufwand einen Schadensersatzanspruch ins Spiel gebracht, welcher im Wege der Aufrechnung oder der Widerklage geltend gemacht werden könne und ggfs. sogar nach § 287 ZPO nur zu schätzen sei. Es bleibt abzuwarten, welche Praxis in Bezug auf Nachforderungen sich hieraus entwickeln wird.
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