Dr. med. Stefan Hübel

23. Dez. 20222 Min.

BGH: erneute Parteianhörung durch das Berufungsgericht

Im Rahmen der Geburt des Klägers mittels Vakuumsextraktion kam es zu einer Plexusparese bei Abriss der Wurzel C5 bis C7 und Ausrissen C8 und TH1. Die Beklagten wurden erstinstanzlich zu einer Zahlung von 70.000 € verurteilt, das Oberlandesgericht wies die daraufhin eingelegte Berufung der Beklagten per Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Hiergegen legte die Beklagte zu 2) (die behandelnde Beleghebamme) Nichtzulassungsbeschwerde ein. Sie rügte, dass das Landgericht davon ausging, dass sie nach der Geburt des Kopfes des Klägers ein Kristeller-Manöver durchgeführt habe. Dies hatten die Eltern des Klägers sowie die Großmutter des Klägers angegeben. Der behandelnde Arzt (der Beklagte zu 1) hingegen hatte angegeben, dass kein Kristellern stattgefunden habe und dies auch in den Akten des Landgerichts festgehalten sei. Diesem Widerspruch hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Der BGH stimmt in seinem Beschluss vom 25.10.2022 (Az. VI ZR 382/21) dieser Auffassung zu. Der Senat führt aus, dass im vorliegenden Fall das Berufungsgericht sein Ermessen bezüglich der erneuten Anhörung des Beklagten zu 1) nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Eine erneute Anhörung eines Zeugen kann nur dann unterbleiben, soweit das Rechtsmittelgericht sich gerade nicht auf Umstände stützt, die die Erinnerung, die Wahrheitsliebe, die Vollständigkeit oder die Widerspruchsfreiheit einer Aussage betreffen. Darüber hinaus kann die erneute Vernehmung unterbleiben, wenn in der ersten Instanz von der Würdigung der Aussagen oder Erörterung der Glaubwürdigkeit abgesehen wurde. Diese Grundsätze gelten entsprechend den Ausführungen des Senats auch für die formlose Parteianhörung. Im zugrunde liegenden Sachverhalt hat sich das Landgericht bezüglich der Frage, ob ein Kristellern durch die Beklagte zu 2) stattgefunden habe, nicht mit den Angaben des Beklagten zu 1) auseinandergesetzt. Dies sei aus den Urteilsgründen gerade nicht ersichtlich. Entscheidend ist hier auch, dass sich die Angaben des Beklagten zu 1) nicht auf seine Tätigkeit bezogen, sondern auf die Tätigkeit der Beklagten zu 2) und er als Arzt im vorliegenden Fall als Fachmann hinsichtlich etwaiger durchgeführter Behandlungen oder Manöver einen besseren Beurteilungsspielraum hatte. Das Berufungsgericht hätte aus diesen Gründen den Beklagten zu 1) erneut anhören müssen, eine Würdigung der bisherigen Aussagen ohne erneute Anhörung des Beklagten zu 1) durfte das Gericht nicht vornehmen.

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