BGH: Therapiewahl, Behandlungsfehler und Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzung
- Dr. med. Inken Kunze
- 30. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Zwar obliegt die Wahl der konkreten Therapie grundsätzlich dem Arzt und legt diesen auch nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg fest. Bei mehreren Methoden muss jedoch ein höheres Risiko der einen Methoden in den besonderen Sachzwängen des konkreten Falls oder in einer günstigeren Heilungsprognose eine sachliche Rechtfertigung finden; der Arzt hat nämlich alle bekannten und medizinisch vertretbaren Sicherungsmaßnahmen anzuwenden, die eine erfolgreiche und komplikationsfreie Behandlung gewährleisten. Hierzu gehört die Abwägung, ob es sich bei der vorgesehenen Behandlungsmethode um eine medizinisch vertretbare Alternative handelt, ob die Anwendung der Methode demnach im Rahmen einer verantwortlichen medizinischen Abwägung unter Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der alternativen operativen Behandlungsmethode unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten gerechtfertigt ist. Ein Behandlungsfehler bemisst sich danach, ob der Arzt unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen im konkreten Fall vertretbare Entscheidungen über die diagnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen getroffen und diese Maßnahmen (auch) sorgfältig durchgeführt hat. Der BGH hat mit Urteil vom 21.01.2025 (Az. VI ZR 204/22) den Rechtsstreit in Ermangelung dieser notwendigen Feststellungen zur Vertretbarkeit einer konkreten Methodenwahl an das Berufungsgericht (OLG Sachsen-Anhalt) zurückverwiesen. Bei der zum Behandlungszeitpunkt knapp 13-jährigen Klägerin war bei Subluxation zwischen dem ersten und dem zweiten Halswirbelkörper eine (ältere) Verdrahtungsmethode durchgeführt worden; anerkannt war zu dem Zeitpunkt jedoch auch eine Verschraubungsmethode, welche größere Aussicht auf Erfolg für eine Heilung und eine geringere Komplikationsrate aufwies. Nach einer notwendigen Revisionsoperation aufgrund einer – möglicherweise sturzbedingten – Lockerung der Drahtverbindung trat bei der Klägerin eine Gefühllosigkeit in den Beinen auf, nach weiterer Revisionsoperation eine inkomplette Querschnittlähmung. Neben der notwendigen Feststellung zur Vertretbarkeit der Wahl der Verdrahtungsmethode in der konkreten Behandlungssituation (unter Berücksichtigung der speziellen Gefahrensituation mit schwerwiegendsten Folgen für den Patienten) war auch die Frage aufzuwerfen, ob es nicht geboten gewesen wäre, die Klägerin an eine Klinik mit Spezialkenntnissen und Erfahrungen mit der Behandlung dieser seltenen Erkrankung weiter zu verweisen.
Darüber hinaus entfiel eine Verpflichtung zur Aufklärung über Behandlungsalternativen aus Sicht des Senates nicht deshalb, weil es nur „ein oder zwei Handvoll von Kollegen oder Kliniken“ gab, die sich mit der Verschraubungsmethode und ihrer Anwendung bei Kindern ausgekannt hätten; es handelte sich damit nicht um ein Therapieverfahren, das erst (in wenigen Großkliniken) in Erprobung befindlich war. Die kleine Anzahl von erfahrenen Behandler schien seinerzeit vielmehr der Seltenheit der Erkrankung und des erforderlichen Eingriffes geschuldet. Bei fehlerhafter Aufklärung liege der Primärschaden bei einer Operation bereits in dem mangels wirksamer Einwilligung per se rechtswidrigem Eingriff. Die Kausalität für den geltend gemachten weiteren Gesundheitsschaden (hier die Querschnittslähmung) sei nach dem Beweismaßstab des § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen. Irrelevant sei, inwiefern es bei Anwendung der Verschraubungsmethode nicht zum Eintritt der Querschnittslähmung gekommen wäre. Bezüglich der Beweislast betreffend die Aufklärung und wirksamen Einwilligung wies der Senat noch einmal darauf hin, dass der Arzt erst dann beweisbelastet sei dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel gemacht hat, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung oder unterschiedliche, jedoch gleichermaßen indizierte Behandlungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten und Risiken verdeutlich worden – vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Hierzu müsse der Tatrichter dem Patienten – unter sachverständiger Hilfe – vor der Anhörung mitteilen, welche Aufklärung ihm vor dem maßgeblichen Eingriff richtigerweise zuteilwerden müsse. Ist eine dazu „simulierte Aufklärungssituation“ nicht protokolliert, so kann auch eine nur eingeschränkt mögliche Prüfung durch das Rechtsmittelgericht Verfahrensfehler im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung ergeben, die einer erneuten Erörterung nach Zurückverweisung bedürfen.
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