BGH: Indizwert der Dokumentation
Nach dem Urteil des BGH vom 05.12.2023 (Az. VI ZR 108/21) fehle es an dem erforderlichen Indizwert der Dokumentation, wenn der Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten hat, die sich zulasten des im konkreten Fall in Anspruch genommenen Mitbehandlers (Beweisgegner) auswirken und nicht ausgeschlossen werden könne, dass dies aus eigenem Interesse an einer Vermeidung oder Verringerung der eigenen Haftung erfolgt ist. Der ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform komme, sofern sie keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, zugunsten der Behandlerseite zwar Indizwirkung zu, die im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sei. Wenn der Beweisgegner allerdings Umstände aufzeigt, die den Indizwert, d. h. die abstrakte Beweiskraft der Dokumentation infrage stellen, so sei keine Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO gerechtfertigt. Hierfür genüge es, dass der Beweisgegner Umstände dartut, die bleibende Zweifel daran begründen, dass das Dokumentierte der Wahrheit entspricht. Der Beweisgegner müsse nicht die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation widerlegen, ihm obliege insoweit nicht der Beweis des Gegenteils. Allerdings seien in die Beweiswürdigung alle vom Beweisgegner vorgebrachten Gesichtspunkte einzubeziehen. Der 6. Senat des BGH hob das Urteil des Berufungsgerichtes (OLG Koblenz) vom 17.03.2021 auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Im Streit stand die haftungsrechtliche Verantwortung einer Beleghebamme einerseits und einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis bzw. deren Ärzte andererseits, die als Geburtshelfer belegärztlich bei der Entbindung eines letztlich leblosen, sodann erfolgreich reanimiert, allerdings mit irreversiblen Hirnschädigungen versehenen Kindes involviert waren. Erstinstanzlich war die Haftung lediglich der Beleghebamme dem Grunde nach festgestellt worden, da diese auf ein hochpathologisches CTG nicht reagiert hatte. Das Berufungsgericht war abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund einer Eintragung der Beleghebamme, sie habe das CTG um 19:10 Uhr dem bei der Gemeinschaftspraxis als Assistenzarzt angestellten Beklagten zu 4 gezeigt, dieser das hochpathologisches CTG ebenfalls gesehen und gleichwohl nichts unternommen habe. Der BGH sah dies anders: Die Dokumentation der Beleghebamme, sie habe dem Assistenzarzt das CTG gezeigt, sei als Indiztatsache ambivalent. In Betracht komme auch, dass sie dies nur deshalb dokumentierte, um ihre eigene Verantwortung für das Geschehen in Abrede zu stellen. Die Krankendokumentation als Privaturkunde enthalte nicht den Beweis der inhaltlichen Richtigkeit des Dokumentierten. Ein Indizienbeweis sei nur überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Die Ärzte hatten gegenbeweislich vorgetragen, dass sie entsprechend ihrer am Folgetag erstellten Berichte erst später hinzugezogen wurden. Die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation der Beleghebamme mussten sie als Beweisgegner nicht widerlegen. Der von den Ärzten zu erwartende Vortrag, die Beleghebamme habe in Wirklichkeit nicht gegebene Umstände dokumentiert, reichte für die Begründung von Zweifeln aus.
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