Bundesgerichtshof: Leidensbehaftetes Weiterleben kein Schaden
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 02.04.2019 (Az. VI ZR 13/18) in zweifacher Hinsicht dem Begehren eines Erben auf materiellen wie auch immateriellen Schadensersatz bei Lebensverlängerung des Erblassers durch künstliche Ernährung eine Absage erteilt: Zum einen könne auch ein leidensbehaftetes Weiterleben nicht als Schaden angesehen werden, da das menschliche Leben ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig sei. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lasse sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht ableiten. Zum anderen bestehe der Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen nicht darin, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Nach erstinstanzlicher Klageabweisung hatte das Oberlandesgericht München dem Kläger, einem Alleinerben des 2011 verstorbenen Vaters, zu Lasten des Beklagten, eines Allgemeinmediziners, der den Vater hausärztlich betreut hatte, ein Schmerzensgeld i.H.v. 40.000,- Euro zugesprochen. Der Vater hatte aufgrund eines dementiellen Syndroms ab 1997 bis zu seinem Tod 2011 unter der Betreuung eines Rechtsanwaltes gestanden. Nach Auffassung des Klägers hätte die Sondenernährung, die 2006 bereits mit Einwilligung des Betreuers eingeleitet worden war, spätestens Anfang 2010 beendet werden müssen. Eine Patientenverfügung existierte nicht, der Wille des Vaters hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahme konnte auch nicht anderweitig festgestellt werden. Das Oberlandesgericht hatte in Bezug auf eine Verletzung von Aufklärungspflichten im Hinblick auf die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung die hieraus möglicherweise resultierende Lebens- und gleichzeitige Leidensverlängerung als ersatzfähigen Schaden angesehen. Der Senat des Bundesgerichtshofs beurteilte dies nun in Anlehnung an den sogenannten Röteln-Fall (Senatsurteil vom 18.01.1983, Az. VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240) anders. Es entziehe sich einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen (wrongful life) gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder eine immer noch günstigere Lage darstelle. Anders als im Röteln-Fall ging es im vorliegenden Verfahren zwar nicht um die Verhinderung eines leidensbehafteten Lebens durch Schwangerschaftsabbruch, sondern vielmehr um ein leidensbehaftetes Weiterleben, das nicht durch einen Behandlungsabbruch beendet wurde. Grundsätzlich werde dem Menschen auch das Recht zuerkannt, selbstbestimmt über eine ärztliche Behandlung und damit auch den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme zu entscheiden. Das Weiterleben könne aber für den Fall, dass ein Behandlungsabbruch unterbleiben sollte, nicht als Schaden gewertet werden unabhängig davon, dass es sich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit entziehe, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil ist. Da im vorliegenden Fall der Wille des Patienten nicht eruiert werden konnte, kam auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Patienten nicht in Betracht. Anders als z.B. auch bei Unterhaltspflichten der Eltern kam darüber hinaus auch kein materieller Schadensersatz in Betracht, da über die Möglichkeit, lebenserhaltende Maßnahmen abzubrechen, zwar u.U. aufgeklärt werden kann und muss, der Zweck der Aufklärungspflicht allerdings nicht darin bestehe, wirtschaftliche Belastungen des Weiterlebens zu verhindern und den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.