Dr. med. Inken Kunze

1. Okt. 20172 Min.

BGH: Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Durchführung einer Schutzimpfung auf einen Eltern

Der BGH hat in einer familienrechtlichen Angelegenheit mit Beschluss vom 03.05.2017 (Az. XII ZB 157/16) die Impfempfehlungen der STIKO als medizinischen Standard bekräftigt und hiermit die Einschätzung verbunden gesehen, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiege. Vor diesem Hintergrund hat es die Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichtes vom 07.03.2016 (Az. 4 UF 686/15) bestätigt, nach der dem antragstellenden Vater zu Recht die Entscheidungsbefugnis bezüglich der Durchführung von Schutzimpfungen (zumindest hinsichtlich der üblichen Schutzimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln) übertragen worden war. Der antragstellende Vater und die Antragsgegnerin (Mutter) sind die gemeinsamen sorgeberechtigten nichtehelichen Kinder der im Juni 2012 geborenen Tochter, die bei der Mutter lebt. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für die Tochter, so dass sie wechselseitig die Alleinübertragung der Gesundheitssorge beantragt hatten. Nach der Auffassung des BGH hat das Oberlandesgericht den Vater zu Recht als besser geeignet angesehen, über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Maßgeblich wurde darauf abgestellt, dass der Vater Impfungen offen gegenüber stehe und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiere. Dies sei nicht zu beanstanden, da die STIKO als Kommission beim Robert-Koch-Institut eingerichtet ist und als sachverständiges Gremium gem. § 20 Abs. 2 S. 3 IFSG die Aufgabe habe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln. Zweck des Infektionsschutzes sei es, übertragbare Krankheiten bei Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Danach dienten Impfungen sowohl dem Wohle des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung als auch – in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung – dem Gemeinwohl. Auch dies diene dem Schutz des individuellen Kindswohles, da das Kind, wenn es noch nicht im impffähigen Alter ist, von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder und der damit gesenkten Infektionsgefahr zusätzlich profitiere. Dabei seien zwar auch die individuellen Lebensumstände des Kindes in die Würdigung einzubeziehen; dies sei dadurch erfolgt, dass ein Verfahrensbeistand für das Kind bestellt wurde, der die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater befürwortete und sich hierfür auf die individuellen Lebensumstände des Kindes wie auch die Persönlichkeiten der Eltern bezogen hatte. Der Vater sei wegen seiner affirmativen Haltung bezüglich der Impfvorsorge besser geeignet, eine kindswohlkonforme Entscheidung zu treffen. Der von der Mutter erhobene Vorwurf, die STIKO-Empfehlungen seien das „interessengebundene Produkt unheilvoller Lobbyarbeit der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft“ sei nicht weiter konkretisiert worden und auch nicht hinreichend konkretisierbar. Grundsätzlich müsse eine abstrakte Nutzen-Risiko-Abschätzung vorgenommen werden; im Einzelfall seien darüber hinaus keine Umstände, wie etwa einer Impfunverträglichkeit ersichtlich. Das Oberlandesgericht habe sich dementsprechend auch entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde (der Mutter) keine eigene Sachkunde hinsichtlich medizinischer Fragen angemaßt, sondern für seine Beurteilung zulässigerweise auf vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen.