Stephan Grundmann

27. Jan. 20232 Min.

Kein sofortiger Vollzug der Zulassungsentziehung bei Gefälligkeitsattesten gegen Corona-Impfung

Die Anordnung des sofortigen Vollzuges der Zulassungsentziehung eines Vertragsarztes, der im Verdacht stand, massenhaft Gefälligkeitsatteste ausgestellt zu haben, um seine Patienten von einer Corona-Impfpflicht zu befreien, war rechtswidrig.

Da in dem Sofortvollzug eine der Beschränkung der Berufswahl nahekommende Berufsausübungsregelung zu sehen sei, die nur zur Sicherung besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit zulässig ist, würde allein die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren für den Betroffenen verloren gehe, nicht ausreichen, um den Sofortvollzug zu rechtfertigen. Es müsse vielmehr im Einzelfall geprüft werden, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens – und damit während der Dauer des laufenden Verfahrens – konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter verursachen würde. Diese hohen Anforderungen sah das LSG Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 21.11.2022 (Az. L 4 KA 105/22 B ER) nicht als erfüllt an und hob den vorausgegangenen Beschluss des SG Kiel auf. Damit stellte es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Arztes gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses wieder her.

Die Anordnung des sofortigen Vollzuges war vom Zulassungsausschuss damit begründet worden, dass der Arzt im Quartal I/2022 mit 4.413 Patienten eine ungewöhnlich hohe Zahl an Neupatienten hatte, denen er eine generalisierte Angststörung attestierte. Zudem veröffentlichte ein Journalist einen Presseartikel, in dem er beschrieb, wie er ohne Anamnese oder Untersuchung ein Attest zur Befreiung der Impfpflicht übergeben bekommen habe. Da die angesetzte Versichertenpauschale bei Gefälligkeitsattesten nicht abrechenbar gewesen sei, nahm die zuständige Kassenärztliche Vereinigung eine sachlich-rechnerische Korrektur des Honorars in Höhe von 139.878,38 Euro vor, gegen die sich der Arzt in einem gesonderten Verfahren mit Widerspruch zur Wehr setzte. Zudem sei den ärztlichen Mitgliedern des Zulassungsausschusses während der Sitzung des Ausschusses der Eindruck entstanden, dass der Arzt an Parkinson erkrankt sei, was dieser auch bestätigte. Der Zulassungsausschuss empfand den Arzt vor diesem Hintergrund als nicht mehr geeignet, die ihm überantwortet vertragsärztliche Versorgung ordnungsgemäß sicherzustellen.

Das LSG Schleswig-Holstein folgte dieser Ansicht nicht. Die Verdachtsmomente der Falschabrechnung und der Erstellung von Gefälligkeitsattesten würden im vorliegenden Fall für eine sofortige Vollziehung nicht ausreichen, da ohne weiteres Beweisverfahren der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht vorhergesagt werden könne. Zudem seien die Behauptungen des Journalisten nicht weiter im Einzelfall überprüft worden. Da mit dem Auslaufen der Corona-Impfpflicht zudem nicht damit zu rechnen sei, dass der Arzt sein Attestieren fortsetzen werden, sei die Gefahr, die von seiner Tätigkeit zukünftig ausgehen werde, nicht als sonderlich hoch einzuschätzen.

Letztlich hätte der Entzug der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung aus gesundheitlichen Gründen im vorliegenden Fall durch ärztliche Befund- und Behandlungsberichte dokumentiert oder durch ein Gutachten iSv § 21 Satz 3 und 4 Ärzte-ZV festgestellt werden müssen. Einschätzungen der ärztlichen Mitglieder des Zulassungsgremiums reichen hierfür nach Ansicht des Gerichts nicht aus.

Durch seine enge rechtliche Prüfung der Voraussetzungen der Anordnung des Sofortvollzugs bei Zulassungsentziehung zeigt das LSG nachvollziehbar auf, warum der bei oberflächlicher Betrachtung naheliegende Sofortvollzug bei stringenter Rechtsanwendung hingegen ausscheidet. Aufgrund der hohen Eingriffsintensität eines sofortigen Zulassungsentzuges ist die Entscheidung begrüßenswert.

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