BGH – Gehörsverletzung bei unzulässiger Beweisantizipation
Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Nach dem Beschluss des BGH vom 16.08.2022 – VI ZR 1151/20 – sei hiervon unter anderem dann auszugehen, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht. Eine unzulässige Beweisantizipation liege dann vor, wenn der von einer Partei angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimesse. Die erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führte zur Zurückverweisung der Sache an den 3. Senat des OLG Hamm. Der Senat hatte den von der Klägerin benannten Zeugen, den Operateur Dr. Z. nicht angehört und das diesbezügliche Beweisangebot mit der Begründung abgelehnt, die Behauptungen der Klägerin, der Operateur habe sich missverständlich im Operationsbericht ausgedrückt, stehe im Widerspruch zu der eindeutigen und unverdächtigen Dokumentation im Operationsbericht. Der BGH-Senat sah hierin eine unzulässige Beweisantizipation, da erst nach Vernehmung des von der Klägerin hierzu benannten Operateurs beurteilt werden könne, ob der Operationsbericht den intraoperativen klinischen Befund im Streitfall in jeder Hinsicht zutreffend wiedergibt oder nicht. Der Klägerin sei damit die Möglichkeit des Beweises abgeschnitten worden, dass der den Operationsbericht verfassende Dr. Z. intraoperativ eine relevante Fehlstellung auch der tibialen Komponente der Knieprothese festgestellt hat und seine Feststellung lediglich unglücklich schriftlich niederlegte. Zwar könne der Umstand, dass eine entsprechende Bekundung des Dr. Z von seinen schriftlichen Ausführungen im Operationsbericht abweichen könnte, im Rahmen einer Beweiswürdigung nach einer Beweisaufnahme Berücksichtigung finden. Er berechtige aber das Berufungsgericht nicht dazu, den angebotenen Beweis gar nicht erst zu erheben.
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