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  • AutorenbildDr. med. Inken Kunze

Lysetherapie nach Operation und die Plausibilität des Entscheidungskonfliktes

Ein einwilligungsfähiger Patient ist grundsätzlich zur Wahrung seiner Autonomie über die Behandlungsmaßnahme und ihre Risiken – hier Lysetherapie mit dem Risiko einer Lähmung infolge einer Nachblutung – aufzuklären, auch wenn die Lysetherapie die einzig lebensrettende Therapieoption ist und ein Herzstillstand droht. Andererseits kann sich der Arzt bei fehlender Aufklärung auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen; hinsichtlich der Behauptung, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den konkreten Eingriff eingewilligt, ist der Arzt beweisbelastet. Dem Patienten obliegt es dann, zur Überzeugung des Tatrichters plausibel zu machen, dass er, wären ihm die Risiken der Behandlung hinreichend verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konfliktes keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Unter dieser Prämisse hat der Senat des Oberlandesgerichtes Oldenburg in seinem Urteil vom 22.03.2017 (Az. 5 U 191/15) keine Überzeugung erlangt, dass der von der Klägerin behauptete Entscheidungskonflikt plausibel ist. Zugrunde lag ein Rechtsstreit über die Behandlung einer Patientin, die – zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation und nachfolgenden Lysetherapie – 38 Jahre alt war, und bei der ein in das Rückenmark hineinreichender Tumor zuvor mikrochrirurgisch entfernt worden war. Im postoperativen Verlauf hatten sich beidseitige zentrale Lungenembolien entwickelt, weswegen zunächst eine Vollantikoagulation mit Heparin durchgeführt wurde, bei unzureichender Besserung der Kreislaufsituation und drohendem Kreislaufstillstand bei massiv volumenüberlandenem rechten Ventrikel sodann eine Lysetherapie eingeleitet wurde. Infolge dessen kam es zu einer Blutung aus der Operationswunde mit massivem Druck auf das Rückenmark, weswegen die Klägerin – irreversibel – nunmehr an einem hohen Querschnittsyndrom leidet. Ein Behandlungsfehler hinsichtlich der Indikation zur Durchführung dieser Lysetherapie war nicht festgestellt worden; aufgrund der kardialen Situation war die Lysetherapie indiziert und alternativlos. Ohne die Lysetherapie wäre die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Dennoch hätten die behandelnden Ärzte die Klägerin vor der Lysetherapie hierüber und insbesondere über die Risiken aufklären müssen, was nicht geschehen war. Allerdings konnte eine Haftung nicht festgestellt werden, da sich die behandelnden Ärzte auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung beriefen und die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel machen konnte. Sie führte zwar an, dass sie bereits aufgrund der Tumorresektion unter Lähmungserscheinungen gelitten habe und sich postoperativ auch hohes Fieber entwickelt hatte, weswegen sie sich mit dem Tod auseinandergesetzt habe. Insgesamt sei die Tumorresektion nicht so erfolgreich verlaufen, wie sie sich dies erhofft hatte, weswegen sie deprimiert gewesen sei. Hätte man sie daher über das Risiko weitergehender Lähmungen aufgeklärt und ihr auch vor Augen geführt, dass der Verzicht auf die Lysetherapie den sicheren Tod bedeutet hätte, so hätte sie sich in einem Entscheidungskonflikt befunden. Der Senat sah diese Ausführungen der Klägerin allerdings nicht als schlüssig an, da sich das Krankheitsbild der postoperativ aufgetretenen rechtsbetonten Tetraparese stetig gebessert hatte und auch weitere Besserungen zu erwarten waren. Der Senat konnte nicht nachvollziehen, dass die Klägerin eine sofortige Beendigung ihres Lebens auch nur ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, wenn zugleich die Gefahr einer Nachblutung zwar bestand, allerdings nicht als unkalkulierbar hohes Risiko zu bewerten gewesen war. Insofern konnte das Argument der Klägerin, wonach die Wahrscheinlichkeit einer fatalen Blutungskomplikation mit der Folge einer Hochlähmung im Falle einer Lysetherapie bedeutend höher gewesen wäre als die Wahrscheinlichkeit ihres Ablebens bei einem Verzicht auf die Lysetherapie durch die Beweisaufnahme entkräftet werden; der gerichtliche Sachverständige hatte in Bezug auf die Lungenembolie nach Resektion eines intramedulären Tumors zwar die Gefahr der Nachblutung als gegeben, nicht jedoch als unkalkulierbares hohes Risiko dargestellt. Nach Auffassung des Senates hätte die Klägerin daher bei einer Aufklärung über die Lysetherapie vor der Frage gestanden, ob sie ihr Leben beenden oder den Versuch unternehmen solle, die Lungenembolien – unter Inkaufnahme eines Blutungsrisikos – durch eine Lysetherapie zu überwinden. Da eine konkrete Suizidalität der Klägerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung nicht vorgelegen habe und auch die von ihr geschilderten Entscheidungen und Verhaltensweisen jenseits der Behandlungssituation nicht darauf schließen ließen, dass eine Ablehnung der lebensnotwendigen Lysetherapie für sie eine Option gewesen wäre, befand es der Senat als nur schwer vorstellbar, dass die Klägerin bei nicht exorbitant hohem Nachblutungsrisiko ernsthaft in Betracht gezogen hätte, ihrem Leben umgehend durch einen Verzicht auf die Lysetherapie ein Ende zu setzen.

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