2.000,- Euro Schmerzensgeld für die Möglichkeit einer Prognoseverschlechterung bei Prostatakarzinom
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in seinem Urteil vom 18.05.2016 (Az. 5 U 1/14) dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,- Euro dafür zugestanden, dass es aufgrund einer verspäteten Bestimmung des PSA-Wertes zu einer späteren Operation gekommen ist. Der eingetretene Gesundheitsschaden wurde in einer Prognoseverschlechterung gesehen, d. h. in einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für eine Fernmetastasierung, und der hiermit verbundenen psychischen Belastung. Nach der Darstellung des gerichtlichen Sachverständigen sei es zwar nicht sicher, aber durchaus möglich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fernmetastasierung im Falle einer um ein bis eineinhalb Jahre vorgezogenen Prostatektomie geringer gewesen wäre. Nach Auffassung des Senates liege bei einer schuldhaft verzögerten Krebserkennung eine Verletzungshandlung nicht erst dann vor, wenn das ungestörte Tumorwachstum bereits zu Metastasen geführt hat. Eine Verletzung der Gesundheit bestehe grundsätzlich in einer Störung der physiologischen Abläufe, d. h. zumindest im Auftreten eines kurzfristigen pathologischen Zustandes. Auch wenn der beklagte Arzt nicht für die Entstehung der Krebswucherung einzustehen habe, bestehe die Verletzungshandlung darin, dass er den pathologischen Zustand vorwerfbar unentdeckt hat andauern lassen, obwohl er aufgrund des Behandlungsauftrages zur möglichen rechtzeitigen Erkennung verpflichtet gewesen war. Darüber hinaus fiele ein psychisch vermittelter Gesundheitsschaden unter die Ersatzpflicht, wenn er nicht auf eine organische Schädigung zurückzuführen ist.
Das fehlerhafte Vorgehen des Beklagten wertete der Senat auch nicht als bloße unterlassene Sicherungsaufklärung, sondern vielmehr als unterlassene Befunderhebung, da hierin der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liege. Bei der Erhebung des PSA-Wertes handele es sich um eine sog. IGeL-Leistung, die dementsprechend nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt sei. Da sich der Kläger allerdings in der Vergangenheit regelmäßig zur Durchführung dieser Untersuchung beim Beklagten vorstellte, sei auch davon auszugehen, dass er sich bei entsprechender Empfehlung zeitnah wieder einer solchen Untersuchung unterzogen hätte. Mit hinreichender, d. h. auch mindestens mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit, wäre bei Durchführung der Kontrolluntersuchung auch ein so deutlicher und gravierender Befund erhoben worden, dass sich hieran die Überweisung an einen Urologen hätte anschließen müssen, um dort eine Biopsie durchführen zu lassen.
Darüber hinaus hat sich sowohl der Senat als auch die Kammer im zugrundeliegenden erstinstanzlichen Urteil bzgl. des anzulegenden fachärztlichen Standards der Begutachtung durch einen urologischen Facharzt bedient. Dies sei auch nach dem Grundsatz der fachgleichen Beurteilung nicht zu beanstanden, da der Beklagte zwar Facharzt für Allgemeinmedizin war, er mit der Erhebung des PSA-Wertes allerdings Vorsorgeuntersuchungen auf dem Gebiet der Urologie angeboten habe, so dass er auch an dem diesbezüglichen Standard zu messen sei. Biete ein Arzt eine bestimmte Krebsvorsorgeuntersuchung an, so sei zu verlangen, dass er sich mit den einschlägigen Leitlinien und allen zur Verfügung stehenden medizinischen Erkenntnissen vertraut mache, um eine möglichst sichere Beurteilung zu gewährleisten. Für die rechtliche Bewertung einer ärztlichen Untersuchung, die darauf abzielt, ein Prostatakarzinom möglichst frühzeitig zu erkennen, komme es dementsprechend nicht darauf an, ob er ein Allgemeinmediziner oder ein Urologe sei.