Ärztliche Bescheinigungen erfordern grundsätzlich eine vorherige Untersuchung
Das OLG Celle hat mit Urteil vom 09.04.2024 (Az. 2 ORs 29/24) entschieden, dass ärztliche Bescheinigungen im strafrechtlichen Sinne grundsätzlich unrichtig sind, wenn der Ausstellung eine erforderliche ärztliche Untersuchung nicht vorausgegangen ist. Für eine Strafbarkeit ist hingegen nicht erforderlich, dass die ärztliche Bescheinigung eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solche enthält.
Voraussetzung für die Einordnung einer ärztlichen Bescheinigung als Gesundheitszeugnis im Sinne von §§ 279, 278 StGB ist, dass in der betreffenden gesundheitlichen Bescheinigung der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Gegenstand eines Gesundheitszeugnisses können im Sinne der genannten Beschreibung des Gesundheitszustands eines Menschen eine frühere Erkrankung oder Verletzung sowie deren mögliche Folgewirkungen ebenso wie ein gegenwärtiger Befund oder eine Prognose seiner künftigen gesundheitlichen Entwicklung sein. Hierunter fallen sowohl die Darstellung relevanter Tatsachen und Symptome als auch deren sachverständige Bewertung. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die Bescheinigung eine Diagnose enthält.
Unrichtig im Sinne des Strafgesetzbuches ist ein Gesundheitszeugnis unter anderem dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies ist in der Regel dann gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche einschlägige Untersuchung nicht durchgeführt wurde. Das gilt auch dann, wenn eine Untersuchung, wäre sie vorgenommen worden, den attestierten Befund bestätigt hätte, dieser also zufällig richtig ist. Denn ein Zeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausgestellt hat, ist ebenso wertlos wie ein Zeugnis, das nach der Untersuchung den hierbei feststellten Gesundheitszustand unrichtig darstellt. Das Vertrauen in das ärztliche Zeugnis beruht darauf, dass eine ordnungsgemäße Informationsgewinnung stattgefunden hat.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nunmehr lediglich für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen; die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kann auf Grundlage eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Krankenkassen und Kliniken zur AU-Richtlinie bei Erkrankungen, die keine schwere Symptomatik aufweisen, und bei einem dem Arzt bekannten Patienten nunmehr auch nach telefonischer Anamnese erfolgen.
In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall legte die Angeklagte ein ärztliches Gutachten beim Landkreis vor, um eine Masernimpfung ihrer Tochter zu vermeiden. Das Gutachten wurde ohne vorherige ärztliche Untersuchung erstellt und enthielt auch keinen Hinweis auf die ausgebliebene ärztliche Untersuchung, obwohl diese hier erforderlich gewesen wäre.
Die Grundsätze der Entscheidung haben jedoch auch Auswirkungen auf die Erstellung ärztlicher Bescheinigungen. Außerhalb der AU-Richtlinie darf im Regelfall auf eine ärztliche Untersuchung nicht verzichtet werden bevor eine ärztliche Bescheinigung ausgestellt wird. Erfolgt dies dennoch, droht auch den ausstellenden Ärzten eine strafrechtliche Verfolgung, da nach § 278 StGB auch das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse unter Strafe gestellt wird.
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