Dr. med. Inken Kunze

4. Sept. 20162 Min.

Verjährung: Äußerung eines qualifizierten Nachbehandlers

Unter bestimmten Umständen können Äußerungen eines qualifizierten Nachbehandlers sowie die Kenntnis des Patienten über den gesamten Behandlungsverlauf den Beginn der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche in Gang setzen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 18.05.2016 – 1 U 121/15 – die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und das Urteil des Landgerichts Saarbrücken bestätigt. Die Klägerin hatte dort im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung angegeben, dass man ihr in der nachbehandelnden Klinik gesagt habe, man könne nicht mehr so viel machen, sie sei so spät gekommen und der Tumor schon so groß. Die Klägerin selbst habe aus dieser Äußerung schon auf ein mögliches Fehlverhalten des Beklagten geschlossen, da sie entgegnete, der Beklagte habe „dieses Ding ja ein Jahr lang wachsen lassen“. Daraufhin habe „der Professor in Essen“ wörtlich gesagt habe: „Dem gehört in den Arsch getreten“. Da der Klägerin aufgrund ihrer eigenen Angaben bereits im vorhergehenden Behandlungsverlauf deutlich gemacht worden war, dass es engmaschiger Kontrollen der bei ihr im Jahr zuvor festgestellten Netzhautprominenz bedurfte, um ggfs. zeitnah auf Veränderungen reagieren zu können, kannte die Klägerin neben dem vorgenannten Hinweis des Nachbehandlers alle maßgebenden Fakten, d. h. den Behandlungsablauf und die Notwendigkeit und den Zweck der Kontrolluntersuchungen, so dass sie hieraus i. V. m. der Aussage des Nachbehandlers den Schluss ziehen konnte, dass der Beklagte eine frühzeitigere weitere Diagnostik und Behandlung versäumt hatte und dies Ursache für den späteren Gesundheitszustand war. Die maßgebende Kenntnis des Abweichens vom üblichen ärztlichen Vorgehen erhielt die Klägerin durch die Äußerung des behandelnden Arztes im Universitätsklinikum Essen. Es habe sich dabei auch aus ihrer Sicht um einen mit entsprechender Kenntnis ausgestatteten Facharzt gehandelt, da sie zu „dem Professor“ bzw. an diese Spezialklinik von einem anderen Universitätsklinikum überwiesen worden war und daher davon ausgehen durfte, dass der nachbehandelnden Arzt über spezielle Kenntnisse auf dem hier einschlägigen Gebiet verfügte. Zudem bestanden keine entgegenstehenden Äußerungen eines dritten Facharztes, die Zweifel hätten hervorrufen können. Auf die Einholung eines Privatgutachtens oder das Vorliegen des im Jahre 2012 von der Krankenkasse eingeholten Gutachtens kam es nicht an, da an die Darlegungsanforderungen eines Patienten im Arzthaftungsprozess aufgrund des Wissensgefälles zum Arzt nur maßvolle Anforderungen zu stellen seien und es insofern auch ausreiche, dass der Gläubiger aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos, Klage erhebt. Hierzu reiche es aus, wenn ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag im Rahmen einer (Feststellungs-)Klage geleistet werde. Die Klägerin wäre hierzu bereits nach der vorbenannten Aussage des nachbehandelnden Arztes in der Lage gewesen, sie hätte den Behandlungsverlauf sowie dessen negativen Ausgang schildern und durch Benennung des nachbehandelnden Arztes als sachverständigen Zeugen Versäumnisse des Beklagten bei den Kontrolluntersuchungen unter Beweis stellen und ergänzend die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen können, so dass ihre Klage schlüssig gewesen wäre. Spätestens im Jahr nach der vorgenannten Mitteilung lag auch eine grob fahrlässige Unkenntnis auf Seiten der Klägerin vor, da sich der Klägerin der Verdacht einer möglichen Schädigung aufgrund der o. g. Kenntnisse nachgerade aufdrängen musste und sie veranlasst gewesen wäre, wegen eines Behandlungsfehlers nachzufragen und ggfs. auch Rechtsrat einzuholen.