Dr. med. Inken Kunze

30. März 20211 Min.

Keine hohen Anforderungen an den Sachvortrag des Patienten im Produkthaftungsprozess

Stellen sich in einem Schadensersatzprozess wegen Produkthaftung medizinische Fragen, dürfen weder an den klagebegründenden Sachvortrag einer Partei noch an ihre Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten hohe Anforderungen gestellt werden. Dies entschied der 6. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 16.02.2021 (Az. VI ZR 1104/20) und folgte damit dem Grundsatz im Arzthaftungsprozess, dass an die Substantiierungspflicht des Patienten regelmäßig nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann und er nicht verpflichtet ist, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Gleiches gelte auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten; die Partei sei berechtigt, ihre Einwendungen gegen das Gutachten auch zunächst ohne sachverständige Hilfe vorzubringen. Die Grundsätze fänden auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses in Fallgestaltungen Anwendung, in denen ein erfolgversprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert. Die Klägerin hatte Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen behaupteter Fehlerhaftigkeit einer Hüftprothese geltend gemacht und auf ein toxikologisches Sachverständigengutachten hin vorgetragen, dass die vom Sachverständigen angesprochenen Zeichen einer Metallose, nämlich lokale Gewebereaktionen und -neubildungen im Sinne von unter anderem Pseudotumoren vorlägen. Das Berufungsgericht (OLG München, Urteil vom 18.06.2020, Az.6 U 75/20) hatte allerdings fehlerhaft von der Einholung eines orthopädischen Gutachtens abgesehen, da es die Behauptung der Klägerin, immer wieder unter rezidivierenden typischen Symptomen eines Pseudotumors mit Spannungsgefühlen zu leiden, als nicht substantiiert angesehen hatte. Dem widersprach der BGH mit der oben genannten Begründung, weshalb die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wurde.

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