Dr. med. Inken Kunze

19. Dez. 20192 Min.

BGH: Außenseitermethode und Aufklärung

Auch eine weitere Entscheidung des Oberlandesgericht Karlsruhe hob der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (Az. VI ZR 105/18) auf, diesmal jedoch zugunsten der Klägerin. Bei dieser war bei einem Bandscheibenvorfall im Bereich der unteren Halswirbelsäule in Höhe C5/6 seitens der Ärzte des beklagten Krankenhauses eine Fusion der Segmente C4/5 und C5/6 vorgenommen worden. In der Folge hielten die Beschwerden an, es kam zu einem Postdiskektomiesyndrom und Schraubenbrüchen, infolge dessen die Klägerin noch einmal operiert werden musste; zudem wurde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt.
 

 
Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen war die Einbeziehung des Segmentes C4/5, da symptomlos, nicht indiziert; die Vorgehensweise habe nicht dem medizinischen Standard, sondern vielmehr einer Mindermeinung entsprochen, die sich allein auf den bildmorphologischen Befund (hier: bereits vorhandene degenerative Veränderungen) stütze. Insofern habe das bisegmentale Vorgehen allenfalls präventiven Charakter.
 

 
Hier rügte der Senat, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anwendung einer Außenseitermethode aus dem Blick verloren habe. Zwar stelle die Anwendung einer Außenseitermethode nicht per se einen Behandlungsfehler dar; die Therapiewahl sei primär Sache des Arztes, ihm sei auch ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen, so dass er auch nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt sei. Eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode dürfe jedoch nur dann angewendet werden, wenn eine verantwortliche medizinische Abwägung unter Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohls des Patienten die Anwendung dieser Methode rechtfertigt. Eine sachliche Rechtfertigung muss bei höheren Belastungen oder Risiken für den Patienten in der Besonderheit des konkreten Falles oder in einer günstigeren Heilungsprognose liegen. Im vorliegenden Fall hätte danach eine Gewichtung der Vorteile des bisegmentalen Vorgehens mit den Problemen aufgrund der Fusionierung eines zusätzlichen Segmentes erfolgen müssen, um die Vertretbarkeit der Entscheidung des Arztes zu überprüfen. Darüber hinaus müsse bei der Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Methode zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten dieser über das Für und Wider der Methode aufgeklärt werden und in diesem Zusammenhang nicht nur Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffes erläutert werden, sondern auch, dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist.