Dr. med. Inken Kunze

21. Juli 20192 Min.

BGH: Erforderlichkeit der ärztlichen Grundaufklärung

Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich mit seinem Urteil vom 28.05.2019 (Az. VI ZR 27/17) in einer Linie mit seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Folgen einer fehlenden Grundaufklärung geäußert. Hiernach könnten keine Schutzzweckerwägungen herangezogen werden zur Verneinung eines Zurechnungszusammenhangs zwischen einem rechtswidrigen Eingriff und den bei einem Patienten aufgetretenen Folgen, wenn eine Grundaufklärung nicht erfolgte. Dies gilt unabhängig davon, ob sich Risiken verwirklichten, die aufklärungspflichtig waren oder nicht. In dem zugrunde liegenden Streitfall hatte die Klägerin aufgrund eines Nervenwurzelsyndroms eine Spritzentherapie mit Injektion eines Lokalanästhetikums kombiniert mit einem synthetischen Glucocorticoid erhalten. Nach zwei komplikationslosen Injektionen kam es unter der dritten Injektion zu starken Schmerzen. Die Klägerin litt seitdem unter Myoklonien, d.h. unwillkürlichen Kontraktionen von Muskeln, die als eine psychogene Reaktion der Klägerin auf die Behandlung im Sinne einer Konversionsneurose anzusehen waren. Über dieses Risiko hätte zwar nicht aufgeklärt werden müssen, gleichwohl könne eine Haftung nicht bereits aus Schutzzweckgründen verneint werden. Die Beklagten hatten nicht nachweisen können, dass sie die Klägerin über Risiken, mögliche Komplikationen oder Belastungen für die Lebensführung infolge einer Spritzentherapie aufgeklärt hatten. Der 6. Zivilsenat wies darauf hin, dass eine Grundaufklärung nur dann als erteilt gelte, wenn dem Patienten zumindest ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffes und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können. Hierzu gehöre in aller Regel auch ein Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko, das dem Eingriff spezifisch anhaftet. Unter einer Grundaufklärung sei insoweit keine vollständige oder ordnungsgemäße Risikoaufklärung zu verstehen, die Aufklärung bleibe vielmehr unvollständig und damit fehlerhaft. Dennoch vermittle die Grundaufklärung dem Patienten eine allgemeine Vorstellung von dem Schweregrad des Eingriffs und der Stoßrichtung der damit zusammenhängenden Belastungen für seine Lebensführung. Mit fehlender Grundaufklärung nehme der Arzt dem Patienten die Möglichkeit, sich auch gegen den Eingriff zu entscheiden und dessen Folgen zu vermeiden. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sei daher im Kern genauso tangiert, als wenn der Arzt den Eingriff ohne jegliche Frage nach der Zustimmung des Patienten vorgenommen hätte. In einem solchen Fall müsse er dann auch haften, wenn sich auch nur ein äußerst seltenes und nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht (unter Hinweis auf die Senatsurteile vom 12.03.1991, Az. VI ZR 232/90, VersR 1991, 777, 779 und vom 14.11.1995, Az. VI ZR 359/94, VersR 1996, 195, 196).
 

 
Da sich das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Celle) allerdings noch nicht mit dem von den Beklagten erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung befasst hatte, war die Angelegenheit noch nicht entscheidungsreif und wurde daher vom 6. Senat an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
 
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