Dr. med. Inken Kunze

12. Jan. 20172 Min.

Aufklärung und Standard bei einer psychotherapeutischen Behandlung

Gerichtliche Entscheidungen über Haftungsverfahren bei psychotherapeutischer Behandlung sind selten. Das Oberlandesgericht Hamm hat nunmehr mit Urteil vom 11.11.2016 sowohl zum Standard als auch zur Aufklärung bei einer psychotherapeutischen Behandlung Ausführungen getätigt. Die Beklagte ist Diplom-Psychologin und befand sich in der Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin. Sie führte bei der Klägerin eine Behandlung unter Anwendung der klärungsorientierten Psychotherapie (KOP) durch. Der Senat konnte keinerlei Behandlungsfehler feststellen. Zum einen war die Anwendung der KOP bei der Klägerin nicht kontraindiziert; insbesondere musste die KOP als bloße Behandlungstechnik nicht vom gemeinsamen Bundesausschuss bzw. dem wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie geprüft und zugelassen sein. Es handelt sich um eine Technik, die zulässigerweise und anerkanntermaßen innerhalb der ihrerseits zugelassenen und anerkannten Methode der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) Anwendung findet. Die Behandlung wurde auch unter der gesetzlich geregelten Supervision durchgeführt. Auch der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe therapiewidrige Freundschaftssignale an die Klägerin ausgesendet, konnte vom Senat bzw. vom gerichtlichen Sachverständigen unter Auswertung der Krankendokumentation nicht bestätigt werden. Gleichermaßen war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Therapie letztendlich abbrach. Grundsätzlich ist von einem Therapeuten die Indikation und ihr Weiterbestehen fortlaufend zu prüfen. Da nach der Berufsordnung eine Beziehung zwischen Therapeut und Patient nicht erlaubt ist, entsprach der Abbruch der Behandlung unter dem Umstand, dass die Klägerin trotz Ablehnung durch die Beklagte eine Beziehung einforderte, regelrecht. Da die Beklagte mit dem Hinweis auf alternative Behandlungen in Form einer vollstationären Behandlung oder einem ambulanten Therapeutenwechsel auch ausreichend Hilfestellung für die Zeit nach dem Therapieabbruch gab, konnte sie hierfür ebenfalls nicht haftbar gemacht werden. Die schlussendlich von der Beklagten gestellte Strafanzeige wegen Stalkings war nach Auffassung des Senates auch in juristischer Bewertung nicht als haftungsbegründender Sachverhalt anzusehen.


 
Darüber hinaus stellte der Senat klar, dass auch im Rahmen einer Psychotherapie über die allgemeinen Risiken einer solchen Behandlung aufgeklärt werden muss, nämlich dass es keine Erfolgsgarantie gebe und die Möglichkeit bestehe, dass auch belastende Inhalte zu Tage kommen, die zu einer temporären Verschlechterung der Symptomatik und zu emotionalen Belastungen führen können. Diese Aufklärung war regelrecht. Eine Aufklärung über anderweitige Therapieansätze als Behandlungsalternative bedurfte es dabei nicht, da hierfür eine echte Wahlmöglichkeit bestehen muss. Die hier gewählte KOP-Technik wurde innerhalb der KVT-Methode angewendet, die ihrerseits die Methode mit den größten Erfolgsaussichten darstellte und auch keine wesentlichen Unterschiede zu anderen Therapiemethoden aufwies. Insofern habe keine echte Behandlungsalternative bestanden, die Wahl stand im Ermessen der Beklagten. Es sei nicht zu beanstanden, dass sie diejenige Methode wählte, die sie am besten beherrschte.
 

 
Darüber hinaus war auch nicht über eine Außenseitermethode bzw. Neulandmethode aufzuklären, da die KVT-Methode und die KOP-Technik bewährte und anerkannte Vorgehensweisen darstellten. Gleichermaßen war nicht darüber aufzuklären, dass die Beklagte sich noch in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin befand. Da sie die Ausbildung bereits zu 2/3 abgeschlossen hatte, galt sie nicht als Neuanfängerin. Darüber hinaus waren evtl. Fehlentwicklungen schon vor einer eintretenden Schädigung durch die Supervision abgefedert. Auch war nicht zu beanstanden, dass Tonaufzeichnungen dem Supervisor zugänglich gemacht wurden. Aus dem geschlossenen Therapievertrag ergab sich eine Weiterreichung der Aufzeichnung innerhalb der Ambulanz; jedenfalls wäre aber von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen, da die Klägerin später unstreitig Kenntnis über die Weitergabe der Informationen hatte und sich in Bezug auf die Fortführung der Behandlung von dem Wissen um die Weitergabe der Informationen auch später nicht abbringen ließ.